Ein Jahr on the road
Seit ziemlich genau einem Jahr bin ich auf Reisen. Das Unterwegssein begreife ich seitdem immer mehr als unendliches Geschenk. Aussprechen darf ich das natürlich nicht. Reisen wird seit Beginn der Pandemie als gefährlich, leichtsinnig, egoistisch usw. bewertet; die Liste ist unendlich lang. Wenn man von den letzten Jahrzehnten einmal absieht, sind Reisende allerdings schon immer skeptisch beäugt worden. Ihre nicht nachvollziehbaren Motive, ihr komisches nomadenhaftes Verhalten und ihre merkwürdigen Ansichten wurden nie verstanden, höchstens toleriert.
Die Menschen, die ich seitdem in fremden Ländern treffe, freuen sich übrigens stets, weil auch sie unter Covid leiden und ihre Cafés, Campingplätze, Bootstouren und Hostels sich wie überall eher an Gäste von auswärts richten. Und über Jahrzehnte aufgebaute touristische Strukturen mit ihren Jobs lassen sich auch nicht einfach so umwandeln in etwas anderes. Auf der anderen Seite werden mir die deutschen Befindlichkeiten, kleinlichen Themen und besonders der mediale Umgang mit der ganzen Situation immer fremder. Das macht mir aktuell Sorge, nicht die Pandemie. Ich habe eine Heidenrespekt vor allen, die in den Krankenhäusern und Supermärkten arbeiten und ich bin unendlich froh, dass ich keine schulpflichtigen Kinder mehr habe. Aber die Hysterie kann ich nicht nachvollziehen und erlebe sie so ausgeprägt auch nicht in anderen Ländern.
Als im November 2019 die dreißigjährige Maueröffnung gefeiert wurde, da hatte ich plötzlich wirklich Angst bekommen. Angst, nicht im Leben das zu tun, was ich immer gewollt hatte und das war auf Reisen zu gehen; mit viel Zeit, ohne festes Ziel, ohne Erwartungen und ohne den Druck „etwas ganz Besonderes zu erleben“.
Ich bin im Osten aufgewachsen, direkt an der Ostsee – den Fähren nach Schweden und Dänemark immer nachblickend. Wollte schon damals nie mein Leben nur am Strand hocken, sondern hinter den Horizont schauen. Als Kind habe ich immer „Leben in Zelten“ gespielt und nach der Wende Kulturanthropologie studiert. Natürlich bin ich gereist, aber immer als Urlauberin für zwei, drei Wochen. Seit einigen Jahren betreibe ich diesen kleinen Blog für Freunde, um ihnen das einfache Reisen mit Zelt und nicht weit weg ans Herz zu legen.
Wir denken immer, wir haben alle Zeit der Welt. Aber was denkt man später in seinen letzten Stunden? „Hätte ich mehr gearbeitet? Mehr Dinge erworben?“ Ich habe also meinen Job zu Ende März 2020 gekündigt, am 1. April letzten Jahres sollte es losgehen. Dann kam Covid und gar nichts ging. In diesem April bin ich lediglich einmal heimlich zu einem Freund nach Sachsen gefahren, mit der Nähmaschine im Gepäck, falls die Polizei einen anhält. Das war es. Ich habe ihm dann tatsächlich noch eine Maske genäht. Zu diesem Zeitpunkt habe ich die Pandemie wie viele andere auch extrem persönlich genommen. Bis dahin konnte jeder Idiot überall hinreisen, der den richtigen Pass und etwas Geld hat. Jetzt konnte niemand reisen. Ich fühlte mich plötzlich wieder wie in der DDR, am Strand sitzen und den Fähren hinterher schauen. Wahrscheinlich sind nicht mal die mehr gefahren.
Als Anfang Juni die Grenzen wieder öffneten, bin ich sofort los und seitdem on the road. Ich halte mich an die Regeln, mache regelmäßig Tests – ob in einem Wüstendorf, in einer Krankenhauskapelle oder mit dem Fahrrad in der Hand am Pazifikpier – und bin inzwischen vollständig geimpft worden, ausgerechnet in den USA mit dem schlechten Gesundheitswesen, auf dass wir Deutschen immer so mitleidig runter schauen.
Mit jedem Tag wird mir bewusst, dass dies etwas sehr Besonderes ist. Nirgendwo ist es voll, alle Sehenswürdigkeiten und Museen sind menschenleer. Überall freuen sich alle über diesen Menschen aus einem anderen Land. Ich war gefühlt die einzige ausländische Reisende im Juni 2020 in Prag und Venedig, jeder sprach mich in der Landessprache an. Ich treffe fast nur einheimische Touristen in den Ländern, was es so ja eigentlich überhaupt nicht mehr gibt. Ich bin auf einmal keine nervende Touristin, sondern ein Gast und werde ständig eingeladen. Zu Hause verpasse ich nichts, es findet ja nichts statt, kein Theaterstück, keine Party, kein Konzert. Wahrscheinlich bin ich inzwischen die einzige, die in den letzten Monaten nicht an einer Zoom-Konferenz teilgenommen hat. Damit kann ich gut leben.
Wie alles in der Welt hat diese Pandemie zwei Seiten, die eine bedrohlich und die andere, die wir uns nicht trauen anzunehmen. Wir begreifen es nicht als Chance, Dinge neu zu denken und zu werten. Und auch nicht als Chance, uns mit unseren Ängsten auseinander zu setzen. Als ich die Reise plante, wurde ich ständig gefragt, ob ich nicht Angst habe als Frau allein zu reisen. Mit Beginn von Covid fragte das niemand mehr. Jetzt ging es nur noch darum, ob ich nicht Angst vor Ansteckung habe. Aber warum sollte ich mehr Angst vor Covid haben als im öffentlichen Nahverkehr von Berlin?
Natürlich müssen wir auch unser Reiseverhalten überdenken. Wir können die Natur wieder entdecken – die selbst gerade eine Pause von allem Stress hat. Wir entdecken das Nahe und stellen fest, es muss nicht unbedingt der thailändische Strand sein, um sich glücklich zu fühlen……was übrigens mein erster Satz in meinem Blog vor acht Jahren war.
Was ist also die – überhaupt nicht neue, aber tatsächlich sehr wichtige – Erkenntnis der letzten Monate auf Reisen? Es werden immer Dinge passieren,die wir nicht in der Hand haben, die wir nicht kontrollieren können. Lasst euch davon nicht ängstigen, werdet wieder mutiger!
Und auf besonderen Wunsch hier mal Fotos von mir und anderen tollen reisenden Frauen…..